Schlaflos auf dem Camino del Norte – Nachtlicht vs. Müdigkeit
Der Camino del Norte hat seine ganz eigene Art, mich herauszufordern. Schon die dritte Nacht in Folge wälze ich mich schlaflos in meinem Bett hin und her, und ich habe wirklich keine Ahnung, woran das liegt. Dabei laufe ich jeden Tag über 20 Kilometer – da müsste man doch eigentlich totmüde ins Kissen fallen, oder?
Vielleicht ist es dieses penetrante Nachtlicht, das in den Pensionen offenbar standardmäßig eingebaut ist. Vermutlich gesetzlich vorgeschrieben, um uns Pilger im Halbschlaf daran zu erinnern, wo der Notausgang ist. Das gestrige SPAR-Abendessen war übrigens erstaunlich gut – und ich war sogar so vernünftig, den Wein wegzulassen! Trotzdem liege ich da, hellwach und horche auf jedes knarzende Geräusch der Matratze.
Guten Morgen, Spanien! Oder: Der frühe Vogel schreit am lautesten
Um 6:45 Uhr ist dann endgültig Schluss mit Dösen – unsere spanischen Zimmernachbarn veranstalten eine Morgenkonferenz direkt an unserem Ohr. Immerhin: 7:00 Uhr ist eine akzeptable Zeit zum Aufstehen. Frühstück gibt’s heute nur für die Pilger im Schlafsaal – wir also nicht. Macht aber nichts, die nächste Bar ist zum Glück nur ein paar hundert Meter entfernt.
Und so beginnt ein neuer Tag auf dem Camino del Norte. Doch bevor ich weiterschreibe, muss ich noch eine kleine Anekdote von vorgestern loswerden. Die ist zu gut (und zu schmerzhaft), um sie zu verschweigen.
Der große Onkel und die nasse Barfliese – ein Drama in Moll
Es regnet in Strömen, als wir zum Abendessen aufbrechen. Kein Problem, Poncho drüber und los. Die Bar ist ja direkt gegenüber, also entscheide ich mich gegen die Wanderschuhe und für meine „Hauslatschen“. Ein Fehler mit Folgen.
Kaum betrete ich die Bar, macht mein rechter Fuß eine elegante Pirouette auf der glitschigen Fliese. Dabei knallt mein großer Zeh mit voller Wucht gegen eine fiese Treppenstufe. Der Schmerz – unbeschreiblich! Eine Stunde lang fluche ich innerlich in allen mir bekannten Sprachen. Der Zeh wird blau, unter dem Nagel sammelt sich Blut. Ich denke nur: War’s das jetzt mit dem Camino?
Aber siehe da: Am nächsten Morgen ist der Schmerz wie weggeblasen. Selbst die blaue Stelle hat sich in Luft aufgelöst. Wie von Geisterhand kuriert. Ich habe die Szene schon fast vergessen, bis ich heute beim Wandern plötzlich an den „Großen-Onkel-Quetschungs-Blues“ aus der Samstag Nacht Show denken muss. Wenn das kein gutes Zeichen ist!
Natur pur – Bauernhäuser, Trockenmauern und Kaffeeglück
Nach dem Frühstück verabschieden wir uns von der Stadt und tauchen ein in eine fast mystische Landschaft. Der Camino del Norte zeigt sich heute wieder von seiner schönsten Seite: Malerische Bauernhöfe, einsame Wege und diese uralten Trockenmauern, die mit Schieferplatten ohne Mörtel gebaut werden. Jeder Stein passt auf magische Weise in den nächsten. Ich stelle mir vor, wie hier Generationen von Galiziern ihre Mauerkunst perfektioniert haben.
Nach gut 10 Kilometern erreichen wir eine kleine Bar und treffen Barbara und Lisa aus S. wieder, die gerade im Begriff sind weiterzulaufen. Hier gibt’s für unglaubliche 1,50 € einen frisch gebrühten Milchkaffee aus der Siebträgermaschine – dazu ein Muffin. In Deutschland bezahlt man für weniger Qualität manchmal das Dreifache. ¡Viva España!
Waldtunnel und Maiskammern – wie aus dem Bilderbuch
Ein Stück weiter entdecken wir unseren ersten befüllten Kornspeicher mit Mais. Die Architektur sieht aus wie aus einem Freilichtmuseum. Und dann kommen sie wieder: unsere geliebten Waldtunnel! Grün, geheimnisvoll, umarmend – wie eine schützende Höhle aus Blättern und Efeu. Die moosbedeckten Mauern links und rechts erzählen ihre eigenen Geschichten.

Was mich seit ein paar Tagen besonders beeindruckt: Viele Mauern bzw. Zäune hier sind aus senkrecht aufgestellten Schieferplatten gebaut. Sie wirken wie ein Puzzle aus der Natur – fast nahtlos zusammengefügt.

Diese Bauweise ist uralt, teilweise reicht sie bis in die römische oder sogar keltische Zeit zurück. In Galizien wird eben nicht einfach irgendwas hingebaut – hier wird mit Herz und Geschichte gemauert.
755 km auf dem Camino del Norte – und die magische 100-km-Marke
Am Ende der heutigen Etappe, nach fast 20 Kilometern, erreichen wir recht locker und fröhlich unser Hotel mit dem charmanten Namen „km 101“. Insgesamt haben wir bislang 755 Kilometer und 14.620 Höhenmeter bergauf zurückgelegt. Bergab etwa genauso viel und beim Wandern zählt das mit. Und das bedeutet: Ab jetzt sind es nur noch etwa 100 Kilometer bis nach Santiago de Compostela!




































































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8 Antworten
Es ist einfach unglaublich was ihr bisher schon geschafft habt.Ich ziehe so den Hut vor euch Ihr seht so wunderbar aus, auch nach so vielen km auf den Sohlen.Unfassbar.Nun auf zu den letzten 100!!!!!! Irre!!! Wenn man das liest erscheinen einem die letzten 100 km wie für uns ein Spaziergang zum Elsenzer See :-)Wir schicken euch 100 Küsse 100 Umarmungen und 100 mal Motivation für den Rest des Weges
♡♡♡♡♡♡♡♡♡♡♡♡♡♡♡♡♡♡♡♡♡
Deine Motivation können wir sehr gut gebrauchen. Vielen Dank!
Liebe Yvonne, herzlichen Dank für deine motivierenden Worte.
Weiterhin einen guten Weg und „danke“ für den Ohrwurm:-)
Vielen Dank und „sehr gerne“ :-)
Gratulation zum km 101… tolles Foto, nein: tolle FotoS(!) von euch beiden…!
Bezaubernd, die „verwunschenen Landschaften“… einfach nur schön….
… und skurril und echt schräg fand ich ja das Fahrrad der Flintstones…! ;-))))
Danke auch wieder für die tollen Eindrücke und euch alles Liebe und Gute für den „Endspurt“
( – sofern man das von noch bevorstehenden 100 km denn sagen kann…)
eure Margott
Wow, “ nur“ noch 100km!!!!!
Nochmal ein dickes Paket voll von positiver Energie für die letzten Etappen!!!
Freue mich schon auf die ersten Fotos von Santiago de Compostela!!!
LG Christine
Mein erster Gedanke war: Wie schade, dann gibt es nur noch wenige Tage einen Reisebericht (mal abgesehen davon, dass ich die Aufnahmen von der Atlantikküste vermisse)! Aber Hut ab, dass ihr so gut voran kommt und weiterhin frohen Fuß und hoffentlich etwas mehr Schlaf!
Viele Grüße