Das Pilgermenü – oder: Sauce auf Abwegen
Das Pilgermenü gestern Abend beginnt harmlos mit einem Teller Spaghetti. Doch beim zweiten Gang wird es kulinarisch-abenteuerlich: Platsch!, landet mir die Sauce direkt über das T-Shirt. Mit einem beiläufigen „Oh sorry“ verabschiedet sich das Tomatenaroma dauerhaft vom Teller und begrüßt mein Shirt. Von Hand ist da nix mehr zu machen – die Sauce hält sich hartnäckiger als mancher Muskelkater.
Aber na gut, es gibt Schlimmeres. Zum Beispiel, wenn man nicht einschlafen kann. Das Knarzen der alten Holzdecke sorgt für ein nächtliches Konzert der Extraklasse. Erst gegen 2:00 Uhr finde ich mithilfe einer Hypnose-Playlist endlich ins Land der Träume.
Frühstart vor dem Aufstehen? Nein danke!
Am nächsten Morgen ist es 7:00 Uhr und erstaunlich ruhig. Nur eine weitere Pilgerin ist noch da – der Rest ist wohl schon unterwegs. Ob es senile Bettflucht oder die Angst vor einem Bett-Notstand ist, wissen wir nicht. Wir jedenfalls lassen es entspannt angehen, denn wir haben vorgesorgt: In der nächsten Albergue, 23 km weiter, wartet bereits ein Zimmer auf uns.
Wir verlassen das Örtchen um 7:45 Uhr und staunen nicht schlecht: Ein wunderschöner Anstieg liegt vor uns, eingerahmt von kunstvoll aufeinander geschichteten Natursteinmauern – ganz ohne Zement. Der Nebel zieht wie ein mystischer Schleier über Felder und Wälder, während in der Ferne ein Hahn sein Bestes gibt, sich heiser zu krähen. Ansonsten ist es mucksmäuschenstill.
Kilometer, Kapellen und kleine Wunder
Heute ist ein besonderer Tag: Wir überschreiten still und heimlich die 700-Kilometer-Marke. Und die Natur spielt mit! In Ogrobe laufen wir an einer uralten Kapelle vorbei, wo uns ein freundlicher Spanier in astreinem Schweizerdeutsch deren Geschichte erzählt.
Überraschung Nummer zwei: Ralph taucht plötzlich wie aus dem Nichts wieder auf. Er hat hier übernachtet und wir haben ihn einfach wieder eingeholt.
Die nächsten 9 Kilometer bis Mondoñedo laufen wir zusammen und es läuft heute wie geschmiert. Trotz knackiger Anstiege fühlen wir uns gut. Hier teilt sich der Weg: Eine Route ist 5 km kürzer, dafür aber mit ordentlich Höhenmetern gespickt – die andere ist länger, aber einfacher. Da wir tapfere Höhenmeter-Sammler sind, entscheiden wir uns natürlich für die Herausforderung!
Der Berg ruft – und wir schnaufen
Gemeinsam mit Ralph geht’s zur Kathedrale, wo er sich noch einen Stempel für seine Credential holt. Wir gehen schon mal vor und treffen beim Kaffeepäuschen eine Entscheidung: Die Bergetappe wird’s! Ralph ist eine Stunde später immer noch nicht da, dafür überholen wir Mike aus Texas – 80 Jahre jung und absoluter Höhenmeter-König.
Der Weg schlängelt sich gnadenlos durch die pralle Sonne. Hinter jeder Kurve hoffen wir: Jetzt geht’s bestimmt bergab. Doch der Camino del Norte hat andere Pläne. Es geht weiter aufwärts – Kurve für Kurve. Zwei Stunden später, kurz vor dem Gipfel, ist auch Ralph wieder da. Er hat seinem Navi vertraut und sich prompt ein wenig verlaufen. Gemeinsam legen wir eine Pause ein – und lassen zur Belohnung unsere Drohne ein paar Runden drehen.
Wer sich für das Video interessiert, muss später noch mal reinschauen.
Blitz, Kühe und ein heldenhafter Hund
In der Ferne grollt schon der Donner. Noch 5 km bis zur Albergue. Schaffen wir es noch bis zu unserem Ziel ohne in das Unwetter zu geraten? Plötzlich türmen sich dunkle Wolken auf. Ein Blitz erhellt den Himmel. Wir suchen Schutz – und finden ihn im letzten Moment in einem Kuhstall auf einer Anhöhe. Vor dem Gatter steht ein junger Wachhund, der allerdings fröhlich mit dem Schwanz wedelt statt uns zu vertreiben. Drinnen: neugierige Kühe, schnurrende Katzenfamilien, ein plärrendes Radio – nur der Bauer fehlt.
Kurz darauf schüttet es wie aus Eimern. Wir genießen den trockenen Zufluchtsort und danken innerlich dem tierischen Empfangskomitee. 15 Minuten später ist der Spuk vorbei und wir ziehen weiter – gerade rechtzeitig, um Mike wiederzutreffen. Der arme Kerl hat leider keinen Unterschlupf gefunden. Seine nassen Wanderschuhe quietschen bei jedem Schritt, aber Mike bleibt stoisch und stapft weiter.
Ziel erreicht – und gleich zwei Jubiläen gefeiert
Um etwa 16:00 Uhr erreichen wir endlich unsere Albergue. Ein echtes Highlight: moderne Doppelzimmer mit Frühstück für faire 54 €! Ralph ist zufällig auch hier eingebucht. Wir teilen uns eine Waschmaschine, und der freundliche Hotelier bringt uns die gewaschene Kleidung sogar vors Zimmer. Wenn das kein Service ist!
Heute gibt es gleich doppelten Grund zu feiern: Zum einen haben wir auf dem Camino del Norte stolze 713 Kilometer zurückgelegt – die 700er-Marke ist geknackt! Zum anderen erklimmen wir heute mit 900 Höhenmetern einen weiteren Meilenstein: über 14.000 Höhenmeter insgesamt! Und obwohl die letzten drei Kilometer etwas zäh sind, sind wir am Ende einfach nur glücklich und zufrieden.
Erkenntnis des Tages:
Auf dem Camino del Norte ist jeder Tag eine neue Geschichte. Mal fliegt die Sauce auf’s T-Shirt, mal ein Blitz über den Himmel – aber am Ende zählt nur eines: Weitergehen, staunen, erleben. Und zwischendurch einfach mal mit Kühen und Katzen im Stall chillen.



















































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4 Antworten
Zwei echte Meilensteine an einem Tag – über 700 Kilometer und 14.000 Höhenmeter? Wahnsinn! Herzlichen Glückwunsch euch beiden. Ich finde es großartig, wie ihr euch nicht nur durch Höhenmeter kämpft, sondern auch den Humor und die Freude nie verliert.
Liebe Martina, wir probieren unser Bestes. Es gelingt zwar nicht immer den Humor nicht zu verlieren, aber wir arbeiten daran. Liebe Grüße…René
Sehr beeindruckend, eure Erlebnisse und eure Zahlen… und v.a. eure Ausdauer und eure fast schon buddhistische Gelassenheit angesichts der täglichen Herausforderungen…!
Nur der junge Wachhund an der Kette – der tut mir echt leid und ich nehme dieses Bild in meinem Herzen mit… Mögen sie ihn ansonsten bitte gut behandeln…
Und euch:
Alles Liebe für eure Schluss-Etappen, die noch warten… bleibt weiterhin zuversichtlich und gut gelaunt und neugierig
eure Margott
Liebe Margott, vielen Dank und keine Sorge, dem Hund scheint es wirklich gut zu gehen. Er hat sich tierisch gefreut und nur mit dem Schwanz gewedelt und sich streicheln lassen. Das war auch irgendwie unser Glück ansonsten wären wir da bestimmt nicht rein. Als Wachhund ist allerdings nicht geeignet. Liebe Grüße… Rene