Heute ist der perfekte Tag, um den Reschenpass in Angriff zu nehmen. Bewölkt und recht kühl, so wie es der Wetterfrosch vorhergesagt hat. Wir stehen vorsichtshalber schon um 6:30 Uhr auf, damit wir relativ sicher sein können, bei kühlen Temperaturen den Pass zu erobern. Am Reschenpass ist die Grenze zwischen Österreich und Südtirol/Italien und stellt auch gleichzeitig eine Wetterscheide dar. Wir können also davon ausgehen, dass wir drüben eher schönes und warmes Wetter bekommen werden.
So sitzen wir bereits um 7:45 Uhr auf unseren Satteln und lassen den Radweg unter uns wegrollen. Bis kurz vor der Schweizer Grenze führt der Radweg über hügeliges Gelänge, dann müssen wir auf die Fahrstraße. Den ersten steilen Aufstieg nehmen wir schon als Pass wahr, aber der Weg gehört immer noch zur Zufahrt. Ein paar Kilometer fahren wir unbemerkt auf Schweizer Seite. Die Zollstelle in Martina kommt aber erst wenige Kilometer später. Dort treffen wir auf ein holländisches Paar (73 und 68 Jahre alt) und schwätzen eine ganze Weile über unsere Vorhaben. An der Zollstelle zweigt nach links der Weg über die Inn-Brücke und der Aufstieg mit 11 nummerierten und übereinander liegenden Kehren beginnt. Sie fangen mit der Nummer 11 an. Kehre für Kehre erkämpfen wir uns mit unseren Gepäcktransportern. Ein gutes Gefühl ist, dass die Nummern der Kehren in absteigender Reihenfolge angegeben werden. So nähert man sich Stück für Stück seinem Ziel.
Heute sind die Beine gut, so dass wir den kompletten Anstieg von Martina/CH (1035 m) zur Norbertshöhe (1405 m) in einem Rutsch durchfahren. Die Steigung ist angenehm und leichter zu fahren wie am Fernpass. Es ist eine geteerte Fahrstraße mit sehr wenig Verkehr. Das liegt vielleicht auch an der Tageszeit, dass jetzt noch nicht so viel los ist.
Von der Norbertshöhe geht es auf ca. 1,6 km und ca. 60 hm hurtig bergab, sodaß der Tacho mit Leichtigkeit auf 70 km/h kommt. In Nauders gönnen wir uns ein 2. Frühstück, denn das Brötchen und das Müsli von heute Morgen sind schon längst wieder durch den Schornstein.
Es geht nochmal ca. 5-6 km hügelig bergauf zur Passhöhe Reschen auf eine Höhe von 1504 Metern. Ein schönes Bergpanorama auf der wiesenbedeckten Hochebene.
Am Kirchturm von Graun, der durch die Flutung des Reschen-Stausees noch aus dem Wasser ragt, bleiben wir für einen Foto-Stopp stehen und fahren dann am östlichen Ufer entlang bis zur Staumauer, die nochmal für ein Selbstportrait (altmodisch ausgedrückt) einlädt.
Wenn man mit dem Auto am Reschensee vorbeifährt, kommt einem der See nicht sehr lang vor. Mit dem Fahrrad wird einem die tatsächliche Länge erstmal richtig bewusst. Fast 9 km müssen wir am Ufer entlang strampeln, um zur Staumauer zu gelangen.
Am darunter liegenden Haidersee (Lago di Muta) radeln wir westseitig entlang. Ab hier nimmt eine rasante Talfahrt ihren Anfang. Die neu asphaltierte, kurvenreiche Rad-Strecke und steile Abfahrt ist schier endlos. Zwischendurch kommt mal wieder ein kleiner Ort, damit die Bremsanlage etwas abkühlen kann, dann folgt schon die nächste spektakuläre Abfahrt.
Auf diese Weise verheizen wir unsere gespeicherte kinetische Energie und lassen in Windeseile 600 hm auf 10 km hinter uns. Es ist eine der schönsten Abfahrten, die ich mit einem Reiserad je gemacht habe.
An einer Self-Sevice-Radler-Tankstelle versorgen wir uns mit Äpfeln und selbstgepresstem Apfelsaft, der so ganz anders und viel besser schmeckt, als man ihn aus unseren Läden kennt.
Es geht zwar immer noch leicht bergab, doch dafür macht uns die Ora einen Strich durch die Rechnung und wir müssen deshalb auch talwärts kräftig in die Pedale treten. Wird die nachts abgekühlte Luft der Alpen tagsüber durch die Sonne aufgeheizt, steigt diese warme Luft an der Südseite der Alpen auf und zieht die vergleichsweise kühle Luft über dem Gardasee nach. Deshalb beginnt die Ora meist gegen Mittag und flaut am späten Nachmittag bei nachlassender Sonneneinstrahlung ab.
Nachts kehren sich die Verhältnisse um und die kalte Luft fällt aus den Bergen zum See, wo sie durch das warme Wasser erwärmt wird und aufsteigt. Der dadurch entstehende Nordwind wird Pelér oder Vento genannt.
Dieser Effekt dreht sich aber auch um, wenn sich die Wetterlage ändert. Auf diese Weise stoßen zwei Winde kräftig aufeinander. Alles wirbelt durch die Luft, es fängt an zu regnen und als der Wind sich etwas beruhigt hat, haben wir für die letzten beiden Kilometer auf einmal Wind im Rücken bis Naturns. Dafür regnet es.
Der Etschtal-Radweg ist landschaftlich und auch vom Fahrspaß her total lohnend. Am Liebsten würde ich diesen Abschnitt vom Reschensee hierher nach Naturns gleich nochmal fahren.
Morgen machen wir einen echten Ruhetag in Naturns mit 0 km auf dem Rad.
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Reisedaten: 97,47 km | Gesamtanstieg 1.350 Meter | Gesamtabstieg 1.771 Meter
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6 Antworten
Respekt, das ist wieder eine tolle Leistung. Sehr schöne Fotos.
Rene, Hast Du auch ein e-Bike? Oder ging das alles mit purer Muskelkraft?
Ich habe ein KTM Lontano mit P18 Pinion Getriebe, welches irrtümlicherweise oft als Ebike angesehen wird. Also alles reine Muskelkraft.
Tolle Bilder und tolle Eindrücke.
Liebe Grüße aus Köln,
Marco
Hallo Marco, das freut mich sehr von dir zu hören! Ich hoffe Dir geht es gut?
Hallo René,
Mir geht es gut, ich kann eigentlich nicht klagen.
Warst Du auch auf der Texcare? Ich habe dort einige alte Kollegen getroffen.
Ich wünsche Dir noch tolle Etappen.
Liebe Grüße, Marco
Nein, ich war leider bei MEWA in Saarlouis beschäftigt.